viewfinder #HARZ #05 Untertägig

Fussballtraining in Sankt Andreasberg. Auf dem Sandplatz üben Jugendliche für ein großes Spiel. Bim, Bim, Bim, Bim. Ein Glocke mischt sich zwischen die Rufe der Spieler. In fast meditativen Abständen schlägt sie regelmässig wie ein Uhrwerk. Leise kaum hörbar dringt ihr Klang aus dem alten Holzgebäude neben dem Fussballfeld.

 Ein Haus für den Schacht.

Die Glocke schlägt im Gaipel, einer Einhausung für den Schacht der Grube Samson. Sie kündet davon, dass die Fahrkunst läuft. Jeder Hub ein Glockenklang. Bim, Bim, Bim, Bim. Seit 1487 wird in Sankt Andresberg Bergbau betrieben. Mindestens. Hier am Samson gibt es die ersten Unterlagen von 1661. Seit hunderten von Jahren fährt man hier in den Berg. Bergleute fahren immer auch wenn sie laufen oder Leitern steigen.

 Dichter Schacht

 Am 12. Dezember 1777 befuhr Johann Wolfgang von Goethe den Schacht der Grube Samson. Da er noch mit eigener Kraft hinein und hinaus musste notierte er in seinem Tagebuch: „Abends eingefahren in Samson, durch Neufang auf Gottes Gnade heraus. Ward mir sehr sauer diesmal.“ Sechzig Jahre später hielt eine Erfindung im Samson Einzug, die auch Goethe das Leben erleichtert hätte: die Fahrkunst.

160cm hinauf, 160cm hinab

 Um 1800 waren die Oberharzer Bergwerke die tiefsten Minen der Welt. Eine Stunde dauert es bsi die Bergleute unten waren, zwei Stunden für den Weg ans Tageslicht. Geld gab es nur für die Zeit vor Ort. Oberbergmeister Georg Ludwig Dörell erfand daher 1833 die Fahrkunst: Ein System von Brettern und Haltegriffen an Seilen, die sich permanent auf und ab bewegen. 60 Jahre nach Goethes beschwerlicher Grubenfahrt im Samson zog diese Technik auch hier ein. 100 Meter Höhenunterschied konnten so in fünf Minuten bewältigt werden. Manche der Anlagen reichten bis in 800 Meter Teufe.

 Die letzte ihrer Art

Die Anlage im Samson ist die letzte genutzte weltweit. Bis in 190 Meter Tiefe fahren die Arbeiter ein, wenn sie die zwei Wasserkraftwerke im Schacht warten müssen. Seit 1922 wird die Fahrkunst elektrisch betrieben. Vorher bewegte ein Wasserrad die  Drahtseile hinauf und hinunter. Das Einfahren ist so relativ leicht: Festhalten, auf ein kleines Brett steigen, hinunter gleiten bis der nächste Griff und das Brett am zweiten Strang neben einem vorbeiläuft, umgreifen und umsteigen, hinunter gleiten, usw.

Kraft aus der Erde

Wer mit der Fahrkunst tief in den Schacht reist, den verlässt bald der Klang der Glocke. Tief unten wird der ersetzt durch ein immer lauter werdendes Brummen.  Auf 130m steht seit 1922 die Turbine des Wasserkraftwerkes grüner Hirsch, 60m tiefer ist die Turbine Sieberstollen bei der Arbeit. 95% des Stroms für die Bergstadt Sankt Andreasberg werden hier erzeugt. Wo einst das Herz des Silberbergbaus schlug verwandelt sich jetzt Wasserkraft in grünen Strom. Bergwerk hat auch im Harz noch Zukunft.

 

Video/Panorama/ Text: Stefan Sobotta | Fotos: Tom Tautz